Volkstrauertag 2.0
Heute ist Sonntag, der 15. November 2009. Volkstrauertag. Normalerweise wird dieser Gedenktag, der immer auf einen Sonntag fällt, von großen Teilen der Bevölkerung gar nicht mehr wahrgenommen. Das ist verständlich, denn die Leiden des Krieges und seine Opfer sind den meisten Bürgern nur noch durch Erzählungen und die Geschichtsbücher bekannt.
Der heutige Volkstrauertag war anders. In Hannover fand die Trauerfeier für Robert Enke, der sich am letzten Dienstag das Leben nahm, statt. Auf die näheren Umstände und Hintergründe will ich hier nicht eingehen – das erledigen andere zur Genüge.
Vielmehr will ich in Worte fassen, was mich den ganzen Nachmittag beschäftigt hat: Die Frage, warum so viele Menschen – auch jene, die mit Fußball nicht viel am Hut haben – so sehr Anteil nehmen. Natürlich, Robert Enke war ein sehr sympathischer Mensch. Wer das bisher nicht wusste bekommt es haarklein von der Presse dargestellt. Aber reicht das als Erklärung? Warum saß ich heute im Keller, das Bild des Beamers auf der Wand, auf der sonst mehr oder weniger lebendiger Fußball zu sehen ist, und sah mir eine Trauerfeier an? Warum liefen mir die Tränen mehr als einmal die Wange herunter, obwohl ich Robert Enke als Sportler gar nicht so gut kannte, geschweige denn als Mensch?
Ich denke, es ist die Tatsache, dass uns solche tragischen Ereignisse für (leider in der Regel zu kurze) Zeit innehalten lassen, uns aus unserem Alltag reißen und uns schmerzhaft vor Augen führen, dass es wichtigeres im Leben gibt. Wichtiger als das, was für uns an normalen Tagen im Mittelpunkt steht. Für viele ist es der Job. Für andere der Computer, das Internet – oder eben der Fußball. Aber all diese Dinge allein machen nicht wirklich glücklich. Sie mögen zu einem glücklichen Leben dazu gehören, aber sie machen es nicht alleine aus. Allzu oft nehmen sie aber den Großteil unserer Zeit und Aufmerksamkeit ein.
Ich erlebe diese Momente, die einem dies vor Augen führen, immer wieder seit ich Kinder habe. Ich bezeichne es als “geerdet werden”. In diesen Momenten frage ich mich, wie viel Zeit ich in letzter Zeit mit meiner Familie verbracht habe. Nicht nur bei ihr, sondern mit ihr. Nicht nebenher, sondern intensiv. Leider sind es meistens traurige Ereignisse, die mich derart zur Besinnung führen.
Ich glaube, dass der Tod von Robert Enke und die ergreifende Trauerfeier in vielen Menschen ähnliches ausgelöst haben. Ich glaube weiterhin, dass dies ganz gut in die Tradition des Volkstrauertages passt. Heutigen Generationen fällt es schwer, sich die Leiden des Krieges vorzustellen. Sie kannten die Opfer nicht persönlich und haben die unmittelbaren Folgen nicht erlebt.
Daher denke ich, dass die Trauerfeier für Robert Enke in dieser Form, wie wir sie in Deutschland bisher nicht kannten, und auch in ihrer großen medialen Präsenz angemessen war. Sie vielen, die sich den Kirchen nicht mehr verbunden fühlen, ein Gefühl der Nächstenliebe vermittelt. Sie hat Menschen einen Anlass gegeben, in sich zu kehren. Zur Ruhe zu kommen. Sich dessen zu besinnen, was für sie wirklich wichtig ist im Leben.
Volkstrauertag 2.0.